Vibration als Heilmittel
ein Internet-Essay
von Jens Judjahn

Editorial
Zusammenfassung
Summary
Résumé
Fachbegriffe
Impressum

Bitte beachten Sie, dass wegen eines
guten Leseflusses alle internen Links
(u.a. Fotos) über die roten Sequenzen
führen.
   Autos vibrieren und zum Beispiel Waschmaschinen, dröhnende Musik vibriert und, in ganz anderer Frequenz und Amplitude, eine schnurrende Katze.
   Als Vibration erleben wir, gelegentlich und vielleicht, Schmetterlinge im Bauch.
   Kaudal, wo die Natur uns mit besonders vielen Vater-Pacini-Körpern als Rezeptoren gesegnet hat, können wir zu unwesentlich anderen Schwingungen dafür eigens konstruierte Geräte anwenden.
   Vibration ist sinnlich und manchmal gefährlich, wie ein Erdbeben oder der Gleichschritt von Soldaten beweist, der eine Brücke zum Einsturz bringen kann. Sie ist doppelgesichtig.
   Schon in der Erwartung hat sie etwas Magisches.

   Vibration, mechanische Schwingung, ist heilend. Sie wird, wenn es auch vielen Therapeuten selbst nicht bewusst ist, in allen Heilmittelberufen angewendet, wie eng man die Grenzen für diese auch ziehen mag.

   Wenn ein Patient klatschende oder klopfende Massagegriffe erlebt, dann ist das schon Vibration.
   Ein anderer hatte Schmerzen im Arm, jetzt fühlt er es fast nur noch vibrieren. Auf dem Gerät in der Hand seiner KG steht „Neuro-Stim".
   Das kleine wahrnehmungsgestörte Mädchen kann seine Hand gar nicht mehr von dem „Zauberstab" nehmen. Das hatte die Therapie-Praktikantin im Supermarkt für 14,95 Mark als „Massagegerät" gekauft.
   Hat er vielleicht magische Hände? fragt sich die Patientin mit dem Schluckproblem, als der Logopäde seine eigene Armmuskelspannung auf sie überträgt.
   Fühlt die Frau im Wachkoma, wie es - es ist eine elektrische Zahnbürste - von der Schulter als Zentrum langsam den Oberarm hinunter, über den Ellbogen allmählich nach unten kribbelt?
   Warum für die Gebärende die letzten Wehen gut auszuhalten waren und ob ihre Hebamme mechanische Schwingungen anwandte - als Autor weiß ich nicht viel über Vibration in der Geburtshilfe. Ebenso werden aber auch andere Funktionen, die nicht dem mehr berufspolitisch ausgewiesenen Heilmittelbereich zuzuordnen sind, nämlich Heilkunde, Heilpädagogik, aktivierende Pflege, Fußpflege, Kosmetik und ärztliche Assistenz, in diesen Praktiken beschreibenden Beitrag einbezogen.

   Auf dessen Yang-Seite tritt nun mit hartem russischen Akzent Vladimir Nazarov auf, der früher einmal sowjetischer Spitzenturner war. Später wandte er sich sporttherapeutischer Optimierung anderer zu, und auch die Ballerinen des Bolschoi Balletts hatten weniger Dehn-Probleme, nachdem Professor Nazarov ihrer mit dem Prinzip einer vibrierenden Ballettstange Herr wurde. In der Tat hat Nazarov nicht nur sowjetischen Sportlern und Tänzern zu Spitzenleistungen verholfen, seine Methode ist heute auch im Sport des Westens noch aktuell. In deutschen Olympia Stützpunkten wird sie diskutiert, wenn nicht zielstrebig angewandt. Dabei hat die Biomechanische Stimulation (BMS) längst die sportphysio-
therapeutischen Grenzen überschritten, ihre medizinischen Indikationen sind Legion.

   Die BMS wird vor allem von Physiotherapeuten, aber auch von Heilpraktikern und Kosmetikerinnen mit etwas ungeschlacht anzuschauenden Geräten angewendet. Die Spürwirkung ist für manche Patienten ein wenig belastend, aber eine Probe auf einem typischen, besagter Ballettstange nachentwickelten Gerät kann schon überzeugen, wenn man bei durchgedrückten Knien mit den Fingerspitzen ein paar Zentimeter näher an den Boden kommt als vorher.

   Die Methode ist, abgesehen von einer relativ starken Amplitude, durch drei Kriterien gekennzeichnet: 1. Die Schwingungen werden durch die angespannte Muskulatur geführt (siehe Ballettstange), 2. die Frequenz sei je nach Indikation 18-35 Hertz, 3. die Schwingungsrichtung soll longitudinal mit den Muskelspindeln eingestellt werden (also quer zur Ballettstange). Vor allem die letzte Bedingung hat die auch die Vibrationsmethoden anderer beeinflusst. Nazarov hat die Grundlagen der BMS in seinem anspruchsvollen Buchtitel Optimierung des Menschen veröffentlicht. Auf der Grundlage bekannter Daten und seiner Forschungsarbeit beschäftigt er sich mit den biomechanischen Bedingungen und Wirkungen der Vibration. Dieses Gedankengebäude besteht aus Blutmengen der Hunde, aus allerhand Chemie, Elektrik und Mechanik, schließlich aus vielen Bildern von der Cellulite bis zum Krebs. Aber auf die Frage nach der Wirkung über die einzelne Vibrationsgabe hinaus nennt er als beständigen Wert „eine Art Muskelgedächtnis" (-ich würde dann schon lieber „Pallimagination" wortschöpfen). Das ist innerhalb biomechanischer Vorgänge sein einziges Fenster zur anderen Hälfte der Vibrationsbehandlung, zur Wahrnehmung.

   Hier sieht man die schon erwähnte junge Frau ein für ganz andere Zwecke gedachtes, Vibrationen vermittelndes Gerät bei einem Jungen anwenden: „Der Wurm krabbelt über deine Finger; hier sucht er nach dem kleinsten Finger, aber er findet ihn nicht. Er kommt zum Daumen, Zeigefinger...". Etwas schwieriger spürbare Schwingungen ergeben sich, wenn sie ihm einen gefüllten Luftballon an zarte Körperteile drückt und darüber „mmm" oder „ooo" macht. Maria P. listet später alles auf und schreibt ihre Diplomarbeit als Ergotherapeutin.

   Bei ihrer Arbeit mit wahrnehmungsgestörten Kindern hat sie sich das grundlegende Buch Jean Ayres´ angeeignet. Für die ergotherapeutische Behandlung dieser Kinder ist die Sensorische Integration(SI) heute das führende Konzept. In ihm erhält die ontogenetische Entwicklung, vor allem vor der Geburt, Leitfunktion. Eine plausibel sehr frühe Wahrnehmungsform ist die Pallästhesie, die Wahrnehmung von Vibration. Wasser ist ein ideales Medium für Schwingungen, die zum Beispiel aus dem Gehen der Mutter enstehen, was zu Stoßbewegungen führt und sich über Interferenzen zu Vibration wandelt. Vibrationen sind hier also Mitteilungen der embryonalen Umwelt. Auffällig ist übrigens die leicht zu erfahrende Nähe der Pallästhesie zum Gleichgewichtsgefühl, das bei der SI im Vergleich zu ähnlichen Sinnestheorien als frühe und damit bestimmende Wahrnehmungsform eine eigene Rolle spielt.

   Die SI als offenes Konzept rechnet sich zu, dass sie für neue Entwicklungen Platz schaffen kann. So ist Vibration als Therapiemittel heute ein wenig angesagter als noch vor drei Jahren. Die Avantgarde besteht in erster Linie aus der Ergotherapeutin Barbara Andrews, die dazu und ganz nebenbei auch einige Spielzeuge aus den USA, wie vibrierende Schreiber und Brummkreisel, eingeführt hat.

   Wie kann man nach der kurzen Schilderung der Extremitäten das wenigstens Feststehende vergleichen, um dafür Strukturen zu finden? Dadurch, dass man einige Gesetzmäßigkeiten benennt.

   Vibration oder mechanische Schwingung oder Oszillation hat mehrere Eigenschaften, die zugleich wichtige therapeutische Parameter sein können. Der am häufigsten beschriebene ist die Frequenz, wobei die Schwingungen pro Sekunde in Hertz/Hz angegeben werden. Die Vibrationsstärke ergibt sich aus der Amplitude, dem Ausschlag der Schwingungen. Sie ist biomechanisch von Bedeutung, aber eine schnellere, höher frequente Vibration wird meistens als stärker empfunden. Einen wichtigen Part ergibt die Dauer der Vibration. Über alle Formen der Handhabung und Methoden hinaus wird nicht bestritten, dass eine kurze und auch eine intermittierende Vibration den Tonus aufbaut, eine lange ihn senkt. Über die genaue Dauer für die zu erzielende Wirkung ergeben sich jedoch seltsame Widersprüche.

   Zu den physikalischen Eigenschaften Frequenz, Amplitude und Dauer kommen des Weiteren unspezifische wie der Ort der Anwendung, also etwa die Strecksehnenplatte der Hand oder der Lendenwirbelbereich. Die Schwingungsrichtung ist heute über Nazarov hinaus ein nachgefragter Parameter, abe sein Einbezug der Muskelspannung ist erst recht nicht zu verallgemeinern. Und auch die Frage, ob zum Beispiel die verbale Begleitung der Vibrationsgabe zu den therapeutischen Parametern gehört, zeigt deutlich das Wagnis auf, in einem wissenschaftlich kaum bestellten Feld ernten zu wollen.

   Also halten wir uns an das, was sicher zu beobachten ist. Wenn man die unterschiedlichen Handhabungen in der medizinischen Vermittlung von Vibration aufzählt, ergeben sich durch die Nähe und Distanz einzelner folgende Gruppen oder Klassen:

Gebrauchsklassen der vibratorischen medizinischen Stimulation:
Gebrauchs- klasse (Fotobeispiel) Beschreibung Frequenz maschinelle/ manuelle Handhabung Beispiele
1 Stimulation durch stromabgebendes Gerät Unbestimmt +   Reizstromtherapie
  niedriger Spannung; die kaum wahrzunehmende Vibration steht nicht im Vordergrund.       mit relativ aufwendigem Gerät. Anderes auch außerhalb medizin. Fachhandel.
2 Stimulation durch körperliche Übertragung 10-11 Hz (Nazarov)   + Vibration in manueller Therapie, in ORT (Castillo Morales)
  -wobei i. d. R. die Muskelspannung des Therapeuten als Vibration übertragen wird.        
3 Indirekte maschinelle Stimulation 20-50 Hz + + Hilfsgerät von Masseuren, Finger-Oszillator
-i. d. R. durch ein Vibration erzeugendes Gerät am Therapeuten selbst, der diese manuell überträgt.        
4 Stimulation durch umfunktioniertes Gerät meist 50 Hz +   Stimmgabel, Musikinstrumente, el. Zahnbürste, Geräte zur sex. Stimulation, vibr. Spielzeug aus allgem. Handel.
-das nicht für therapeutische Zwecke oder Wellness-Zwecke angeboten wird.        
5 Stimulation durch spezielles Gerät 20-50 Hz +  

BMS-Gerät wie "Powerplate",
3D-Vibration, "Vibrax", vibr. Mas-
sagegerät, Vibrosauna, "Ein-
baum", vibr. Therapiespielzeug,
Klangschalen, diagn. Stimmgabel 

für die therapeutische oder entspannende Behandlung, ausgenommen die Gebrauchsklassen 1 und 3.        
6 Tapping unter 5 Hz   + Teile in Bobathbehandlung, in Manuell. Therapie, Breuer-Methode
als Zusammenfassung der niedrigfrequenten Vibrationsgabe durch rhytmische Manipulation        
   Die Reihenfolge der Gebrauchsklassen ist keine hierarchische, sondern wird durch die in der gebräuchlichsten Handhabung angenommenen Vibrationstärke von Klasse 1, schwach, bis Klasse 6, stark, bestimmt.

   Die Typologie enthält also drei gerätegeführte und zwei gerätelose Handhabungen sowie eine, bei der Vibrationen beim Therapeuten erzeugt werden, die dieser körperlich überträgt. Beispielgebend dafür ist die Maßnahme von Masseuren, sich Vibrationsgeräte auf den Handrücken oder Unterarm zu schnüren, um auf diese Weise fachgerechte Massagegriffe unter Vibrationseinwirkung ausführen zu können. Dies soll allerdings bei manchen Anwendern zu Fingerarthrosen geführt haben, weshalb es etwas aus dem Gebrauch gekommen ist. Lag es an der Frequenz, Amplitude, Dauer? Jedenfalls ist ein derartiges Verfahren nicht vom Verbot maschinengeführten Behandlung nach den Heilmittelrichtlinien betroffen, gleichwohl Vibrationsbehandlungen in der Regel nur Teile einer Gesamtbehandlung sind.

   Gibt es Handhabungen, die nicht eindeutig in eine der Klassen gehören? Und sind Vibrationsmittel denkbar, die durchs Raster fallen, also eine neue Klasse bilden? Ein Kurzdurchlauf: Gebrauchsklasse 1 hat als Reizstromtherapie außerhalb unseres Themas eine größere Bedeutung, subsummiert aber eben auch Vibrationsgebrauch. Sie enthält sämtliche Geräte, die an einen Patienten Strom und nebenbei auch Vibration abgeben. Sollte jemand auf die wohl wenig brauchbare Idee kommen, dazu einen defekten Elektro-
rasierer zu benutzen, gehört dieser zur Klasse1, da die Stromvermittlung bedeutender wäre als die ursprüngliche Bestimmung. Ein auch dort so genanntes Reizstromgerät aus dem Sexmarkt ordne ich, ohne ein Werturteil mitzunehmen, in die 4 ein. Zur Gebrauchsklasse 2 zähle ich auch die in Kreisen der SI und Basalen Stimulation
beobachtete Methode, sich ein Kind auf den eigenen Bauch zu legen und dabei Vibration erzeugende Laute auszustoßen. Wer letztes nicht macht, sich aber dafür mit dem Kind auf dem Schoß eine laufende Waschmaschine besetzt, handelt im Sinne der Klasse 3. Zur 4 gehören alle in üblicher Weise benutzten, aber im Hauptzweck nicht für die Therapie gedachten Geräte. Dabei kommt es also auf die ursprüngliche Intention an; ein noch so schlichtes „Massagegerät", auch ein „Vibrationsgerät", wenn es keines für sexuellen Gebrauch ist, gehört in die Gebrauchsklasse 5. Zur Klasse 6 rechne ich das auch als spezielle Massagegriffe bezeichnete manuelle, rhythmische Klopfen, Klatschen, Tupfen und Stoßen, ausgenommen solche Tappings, die mit einer Übertragung der eigenen Muskelspannung verbunden sind und im Grunde mit ihrer Hilfe entstehen. Dann zähle ich sie zur Gebrauchsklasse 2.

   Die Strukturierung der Szenerie auf der Ebene der Handhabungen scheint mir vor der Abklärung therapeutisch wichtiger Gesetzmäßigkeiten hilfreich zu sein, weil sie es erlaubt, homogene Bereiche oder solche mit eigenem Selbstverständnis zu untersuchen. Tatsächlich besteht etwa in der Frage der Wirkung unterschiedlicher Vibrationsdauer in den einzelnen Gebrauchsklassen Konsens, zumindest aber Verständigungsmöglichkeit.

   Im übrigen gibt es keine Szene der medizinischen Vibration. Die Anwender haben je nach Gebrauchsklasse zueinander teilweise engen Kontakt. So hat die Klasse 1 den Charakter eines durchorganisierten Marktes, obwohl die Anbieter der Geräte sowohl mittelständisch wie auch großindustriell beheimatet sind. Natürlich zwingt der hohe wirtschaftliche Einsatz zur Professionalität, auch im Forschungsbereich. Anders in der Gebrauchsklasse spezieller Geräte. Hier prägen neben professioneller Arbeit immer wieder sogenanntes Konkurrenzdenken, schlimme Gerüchte und der Ton von Baumarktleitertreffen einen Markt, in dem nur zwischen wenigen die Physik stimmt. Namentlich im Bereich der BMS- und ähnlicher Geräte kennt man oft kein Pardon, wenn es um gemeinsame Zielsetzungen geht.

   Die Gebrauchsklasse 5 ist ohne vibrierende Möbel unterschiedlicher Art und übrigens unterschiedlicher Märkte kaum beschrieben. Unspezifische Schwingungen, teils durch Musik entstehend, werden durch vibrierende Wasserbetten vermittelt. Dies funktioniert nach dem Prinzip einer oft „Einbaum" genannten Liege, die aus einem entsprechend großen hölzernen Klangkörper besteht, der durch darunter angebrachte Saiten von einem Therapeuten bedient wird. Durch Knopfdruck bedienbar sind dagegen verschiedene vibrierende Sitzmöbel meist japanischer Produktion, die sich in deutschen Kaufhäusern bisher nicht durchgesetzt haben, dafür aber in Arztpraxen mit vorwiegend privat abrechenbarer Patientenschaft beobachtet wurden. Vibrierende Möbel sind übrigens keine neue Errungenschaft. Richard Wagner hat sein Festspielhaus mit kargem Material ausgestattet, damit zur starken Musik die Stühle im Sinne des Gesamtkunstwerkes bis heute beben können.

   Dass ich mit Vibrationen arbeite, wurde mir erst eines Tages bewusst, als ich zum vielleicht schon hundertsten Mal einen Patienten auf tiefensensible Störungen befundete. Dabei wird eine Stimmgabel angeschlagen, mit dem Griff auf eine prominente Körperstelle gesetzt und nach einer Spürwirkung gefragt. Neurologen verfahren so in der Diagnostik der Pallästhesie mit oft gleichem Gerät, nur dass Ergotherapeuten in übenden Verfahren bestimmte Patienten ausgewählte Reize immer wieder spüren lassen. Der Gebrauch einer Stimmgabel mag in der Therapie nur begrenzt nutzbar sein, aber in der Gebrauchsklasse 4, der nach der Anwenderzahl vermutlich größten Klasse, gibt es noch eine Fülle anderer Funktions-adaptierter Geräte.

   Zum Beispiel werden in der Basalen Stimulation, einem von Andreas Fröhlich bereits in den 70ern vor allem für die Stammhirnanregung entwickelten Konzept, vorzugsweise viele pallästhetische Maßnahmen durchgeführt. In der Tat verbindet sich mit ihr unter den über mehrere Heilmittel verbreiteten Konzepten die größte Vibrationserfahrung. Hier finden schwerstbetroffene Kleinkinder und Greise, auch viele Menschen im Wachkoma, dadurch systematisch eingesetzten Kontakt mit den Schwingungen von allerlei oft unmedizinisch gemeinten Geräten, vibrierenden Kissen, Haushaltsgeräten und Werkzeugen und aus den Schallwellen von Musikinstrumenten und anderen Tonträgern. Auch unbestimmte Vibrationen, etwa durch starkenRegen, können genutzt werden. Ebenso wird schon mal, diese Gebrauchsklasse verlassend, die eigene Muskelspannung eingesetzt. Von wem denn nun? Die Basale Simulation wurde für die aktivierende Pflege konzipiert, und das letzte Adjektiv schreibe ich klein, weil dieser Pflegebereich im Zuge der gesundheitspolitischen Mise(re)re fast heimatlos erscheint. Aber in den klassischen Heilmittelberufen und darüber hinaus wird Basale Stimulation so unbekümmert angewandt wie es am Patienten selbst ankommt: spielerisch, beobachtend und kreativ.

   Das alles trifft im wesentlichen auch auf das andere bedeutende Konzept im wesentlichen dieser Gebrauchsklasse zu, die Sensorische Integration. Hier geht es zwar um höher kortikale Entwicklungen, und der Umgang mit Vibration spielt im Konzept derzeit noch nicht eine so große Rolle, aber auch SI-Therapeuten sollten eigentlich mehr wissen von Wirkungsmechanismen der Vibration und physikalischen Grundlagen. Und zwar besonders deshalb, weil die meisten durch ein rühriges Fortbildungswesen als Klammer dieser Szene durchweg nicht ohne theoretischen Bezug behandeln. Für sie verspreche ich mir, abgesehen von der wachsenden SI- Nachfrage im Erwachsenenbereich, mehr und mehr konzeptionelle Anregungen durch die berufliche Nähe zu Castillo-Morales-Therapeuten, die Vibration zwar ganz anders, aber seit Jahren theoriebewusst anwenden.

   Die Vibration wird nach diesem Konzept manuell, also durch die Hände des Therapeuten angewendet, wie das auch nach anderen Konzepten , etwa in der Manuellen Therapie, gemacht wird. Das ist anstrengend, muss aber nicht lange durchgehalten werden. Rodolfo Castillo Morales beschreibt zunächst zwei Wirkungsweisen derart applizierter Vibration: „Wird sie langanhaltend durchgeführt", nämlich wenigstens 20 Sekunden, „bewirkt sie ein Senken des Muskeltonus. Wird sie intermittierend mit variablen Pausen durchgeführt, erreicht man eine Steigerung des Muskeltonus.". Die relativ schwache Amplitude bei der körperlichen Übertragung unterstützt die selektive Wahrnehmung. Im übrigen wird durch Berühren, Streichen, Zug und Druck ein Ziel angesteuert, das sich kurz und auf der perzeptiven Ebene so beschreiben lässt: Verunsicherung der pathologischen und Aufbau sinnvoller Wahrnehmung am Ort der Behandlung. Dies ist bei C.M. vor allem der orofaziale Trakt, und seine Regulationstherapie ist Hirnbasis-orientiert. Die Bedeutung, die C.M. dabei der Vibration zumisst, wird für mich durch eine Bemerkung von ihm deutlich, dass häufig berichtete Heilungen durch Berühren eines Kranken sich durch die natürliche Muskelvibration erklären lassen. Hierzu ist wohl noch ein außergewöhnlich wirksame Beziehung zum Patienten zu zählen. C.M. erklärt sie für sein Konzept einfach: der Patient ist „Chef des Teams", ähnlich übrigens wie in den beiden anderen Konzepten.

   Welche Wahrnehmungen ergeben sich durch Vibrationsgaben mit zunehmender Dauer?

   Vielleicht erklärt eine durch Vibration ereichte Verunsicherung einer pathologischen Wahrnehmung, warum Schmerzbehandlungen immer häufiger an erster Stelle in Indikationslisten solcher Behandlungen genannt werden. Tonussenkungen, Schmerz-
linderungen und teils auch Verlangsamungen sind für mich durch den Prozess von Stammhirnadaptationen zu erklären, bei denen mit den Vibrations-Reizen auch andere gehemmt werden. Hier ist allerdings angebracht, den Begriff „Stimulation" ein wenig gerade zu rücken. Stimulation ist hier die Erregung beruhigender Teile des ZNS, wenn auch in ersten Momenten das Gegenteil passiert. Es sollte mich übrigens nicht wundern, wenn Sexualwissenschaftler bei entsprechenden Praktiken ähnliches feststellen. Oder wenn Schlafforscher bei Einschlaf-Attacken am Steuer signifikante Beziehungen zu bestimmten Automarken entdecken.

   Andererseits bewirkt vibratorische Stimulation durchaus auch das, was der Begriff auf den ersten Blick leistet, nämlich Tonuserhöhung und Reizwachheit.

   Anstelle einer Gebrauchsklassen-übergreifenden Indikationsliste, die schon deshalb nicht sinnvoll erscheint, weil die vielen in den Klassen 1 und 5 genannten Indikationen die Liste beherrschen würden, lassen sich vier Grundsätze verwirklichen:

   1. Vibrationen dienen in erster Linie Therapien, die mit Energie-Abfuhr verbunden sind. Dies können Maßnahmen zur Schmerzlinderung, Tonussenkung, Lockerung, Dehnung, Desensibilisierung oder Beruhigung sein. Markante Beispiele dazu sind die Therapie bei Tinnitus, bei Restless Legs und die Inhibition von Spastik.

   2. Anders angewandt, bewirkt Vibration das genaue Gegenteil der eben genannten Begriffe. Als Beispiel führe ich nur eines an, weil es die anderen überstrahlt - die Förderung der Propriozeption.

   3. Die Anzeigen in der Gebrauchsklasse 1 dürfen hier nicht angeführt werden, da sie sich durchweg auf andere, wenn auch ähnliche Wirkmechanismen beziehen als auf Vibration. Vielleicht wird aber der vibratorische Anteil deutlich durch eine gewisse Schnittmenge der Indikationen mit denen der Gebrauchsklasse 5. Darin werden unter anderem Apoplexie, Muskelatrophie, Frozen Shoulder, Cellulitis, Vernarbungen, Verletzungen, Durchblutungs-
störungen, Arthrosen und vor allem auch Schmerzsyndrome genannt.

   4. Die Applikation mechanischer Schwingungen ist im Zusammenhang mit den Berufsbildern der übenden Medizin keine eigenständige und vollständige Behandlung, sondern ein oft zeitlich kurzer, wenn auch wesentlicher Behandlungsteil. Die Ausnahmen dazu sind überwiegend am Rande dieses Themas zu finden, nämlich in der Sportphysiotherapie, in der Kosmetik und in der kurativen Entspannung.

   Was wirkt, hat Potenziale; deshalb will ich mich im gleichen Maß den Gegenindikationen widmen:

   1. Implantate wie Herzschrittmacher, Gelenkersatz und organische Implantate sind in den Gebrauchsklassen 1, 3, 4 und 5 gegenindiziert. Auch Verschraubungen und ähnliche Maßnahmen werden gelegentlich genannt und sind wohl örtlich zu berücksichtigen.

   2. Herzbeschwerden werden zwar nicht so häufig angegeben, doch stehen sie aus meiner Sicht in den geräteführenden Gebrauchsklassen 1, 3, 4 und 5 zumindest an zweiter Stelle.

   3. In den Gebrauchsklassen 2, 3 und 6 wird jeder Therapeut besonders vorsichtig sein, wenn er am Körper eines psychotischen Menschen Vibrationen appliziert.

   4.Bei einigen wenigen Krankheitsbildern ist die Pallästhesie herabgesetzt oder fehlt völlig.

   Wenn man dem deutschen Physiotherapeuten Richard Breuer, unter Außenseitern ein Außenseiter, glauben will, ist das alles noch ein wenig zu kurz gesprungen. Breuer ist von seiner zur niedrigstfrequenten Gebrauchsklasse gehörenden Methode einer "Manuellen Biofeedback-Therapie Breuer" derart überzeugt, dass er andere nicht gelten lässt und insbesondere die Vermittlung höherer, nicht körperlicher Frequenzen für schädlich hält.

   Bevor ich darauf zurückkomme, stelle ich seine Methode kurz vor. Die Rezeptoren der verschiedenen Sensibilitäten sind für Ihn „Tastsinneswerkzeuge", die durch bestimmtes Tapping angeregt werden können, dem geschulten Therapeuten alle möglichen neuromorphologischen Zustände zu melden und gegebenenfalls auf gleichem Wege zu korrigieren. Im Diagnostikbereich handelt es sich also um eine Form körperlicher Gegenübertragung, angeregt durch Vibration geringer Frequenz. Bei höherer erwartet Breuer neuronale Entartungen.

   Sollte Breuer, dem man ja nicht gleich sein ganzes sperriges Angebot abnehmen muss, in diesem Punkt Recht haben, dann sind wir schon seit der Vibration der Kutschenzeit äußerst gefährdet. Und in der Tat kann dagegen niemand behaupten, wir gingen den Weg immer neuer Vibration sehenden Auges. Oder Wissenschaft hätte ihn uns gewiesen.

   Denn das Erdbeben, die einstürzende Brücke sind keine Ereignisseder unsichtbaren, der neuronalen und metabolischen Welten. Fest steht für mich nur, dass wir es in unserem Körper um Eigenvibrationen verschiedenster Art und bei Vibration um Wellen zu tun haben. Sie treffen immer wieder auf Widerstände, die auch andere Wellen sein können, werden überlagert, was man Interferenzen nennt, werden zurückgeworfen. Wellen neuer Art, anderer Frequenzen, Amplituden, Wellenformen kommen hinzu. An den Ufern entschwindet langsam das lustvolle Völkchen, diese Un-Szene Vibration.

   Oje, das ist längst nicht mehr berechenbare Flussschifffahrt. Wogen links, Sturzbrecher von vorn. Auf den Meeren sind wir immer neuen Strömungen und sich ausbreitenden periodischen Schwingungen ausgesetzt. Unser Wissen ist eine Nussschale auf hoher See. Könnte es nicht sein, dass in der Vielzahl der Wellenbewegungen sich eine auf die andere türmt, dass, Zufall, immer wieder eine neue dazukommt, zum (Seemannsspr.) Kaventsmann wird?
   Wer, bitte, erforscht solche Meere?